Interview mit Stephan Grabmeier: Wie Corona die (moderne) Arbeitswelt langfristig verändert
Wir konnten ihn für ein Interview zur aktuellen Corona-bedingten Wirtschaftslage gewinnen. Erfahren Sie welche Fähigkeiten Unternehmen seiner Meinung nach brauchen, um diese Krise zu überstehen und wie die Arbeitswelt Post Corona aussehen wird.
Vote2Work (V2W): Die letzten Monate haben die Wirtschaft durchgeschüttelt und viele Unternehmen vor große, gar bedrohliche Herausforderungen gestellt. Wie erleben Sie die Corona-Krise? Welche Stimmung zeichnet sich unter den von Ihnen begleiteten Unternehmen ab?
Stephan Grabmeier: Wir sind mittlerweile im zweiten Lockdown, wenngleich etwas leichter als im Frühjahr und haben eine gewisse Souveränität im Umgang mit dieser Situation innerhalb des Arbeitsumfeldes entwickelt. Die Stimmung ist dennoch nicht homogen.
„In Krisensituationen gibt es grundsätzlich drei Szenarien. Die Flucht, den Tod und den Kampf.“
Mit der Flucht ist die Rückwärtsbewegung ins „alte Spiel“ gemeint. Statt sich weiterzuentwickeln, wird an bekannten Mustern und alten Regeln festgehalten. Die „Nostalgiker“ versuchen das, was sie hatten, zu replizieren. Diese Strategie wird jedoch nicht aufgehen. Denn wenn Systeme gebrochen wurden, können sie nicht mehr in den gleichen Zustand zurückgeführt werden. Was wir auch häufig erleben, sind Organisationen, die abwarten und die Situationen erst einmal eine Weile beobachten, jedoch noch nicht aktiv handeln.
Der „Kampf“ meint jene, die den Mut zusammennehmen und den kreativen Ausbruch aus der Krise proaktiv angehen. Wir sehen, dass sich aktuell viele Unternehmen an der Gabelung befinden, dort wo sie entscheiden müssen, ob sie sich zurück entwickeln und an Altbewährtem festhalten oder aber sich nach vorne und damit kreativ weiterentwickeln wollen.
V2W: Welche Veränderungen hinsichtlich der Arbeitswelt haben Sie in den letzten Monaten beobachtet?
Stephan Grabmeier: Den Begriff New Work nutze ich seit 1998, nach dem ersten Kennenlernen von Fritjof Bergman. Zu dieser Zeit war der Begriff noch alles andere als Mainstream. Wir hatten uns damals unterhalten, die Idee der „Zentren der neuen Arbeit“ die Fritjof in USA aufgebaut hat auch in Deutschland zu etablieren. Um die Jahrtausendwende kam die Digitalisierung dazu und belebte den Trend verstärkt. Der Fokus jedoch, den die von Covid-19 verursachte Situation auf das Thema New Work gesetzt hat, ist unglaublich. Es wurde ein enormer Schritt zum dezentralen Arbeiten beziehungsweise Arbeiten aus dem Home-Office gemacht. Auch die Klarheit über die Bedeutung systemrelevanter Berufe und somit resilienter Systeme wurde geschärft.
V2W: Sie sind oft in Unternehmen unterwegs, welche durch ein hohes Maß an Wissensarbeitern geprägt sind. Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Bausteine für modernes Arbeiten in diesen Betrieben und was kann man davon auf die Industrie adaptieren?
Stephan Grabmeier:
„Meine Erfahrungen zeigen: Alles was wir uns vorstellen können, können wir erreichen. Das ist Zukunft.“
Unser Kulturverständnis und unsere Einstellung zu Arbeit und digitalem Arbeiten sind ausschlaggebend. Die nötige Hardware und Technologien sind schon lange vorhanden und werden vielerorts nun auch effektiver eingesetzt. Deshalb bin ich überzeugt, dass sich vieles beschleunigt adaptieren lässt, wenn man den Mut und die Kreativität hat, die Dinge auszuprobieren.
V2W: Sie erklären auf ihrer Website das BANI Framework, welches für eine brüchige, ängstliche, nichtlineare und sogar unbegreifliche Welt steht. Dabei sind gerade die Begriffe der Brüchigkeit und Nichtlinearität aktuell spannend. Was glauben Sie: Welche Systeme werden durch die Corona Krise zusammenfallen und was braucht es für ein Unternehmen, um in diesem Kontext trotz der Unvorhersehbarkeit bestehen zu können?
Stephan Grabmeier: Bei dem BANI Modell geht es darum, dass uns Sprache eine Orientierung gibt. Das Akronym BANI hat aus meiner Sicht das Akronym VUKA, was aus dem kalten Krieg, Ende der 1980er Jahre stammt, abgelöst. BANI beschreibt u.a. das Thema der Brüchigkeit sehr eindeutig und genau das haben wir zu Corona erlebt. Corona hat Systeme und Supply-Chains gebrochen. Brüchige Systeme sehen wir vor allem in kosteneffizienten Umfeldern, in Monokulturen zum Beispiel der Agrar- oder Energieindustrie.
Dort beobachten wir: bricht ein kleines Glied in der Kette, brechen teilweise gesamte globale Systeme zusammen. Wir sehen wie der Trend der Glokalisierung, also die Globalisierung und Lokaliserung eine neue Bedeutung bekommen hat. Produktionsstrategien werden sich verändern müssen, wieder hin zu mehr lokalen Märkten, um die Brüchigkeit der Systeme zu umgehen.
Gleiches beobachten wir im Gesundheitssystem, auch dort können wir uns keine Brüchigkeiten erlauben.
Deshalb ist es so wichtig, Unternehmen resilient aufzustellen und sie widerstandfähig zu machen. Genau das hat uns Covid-19 gezeigt – kaum stand die Wirtschaft für zwei Monate still, mussten viele Teile davon gerettet werden. Wie kann das sein?
Diese waren bisher ausschließlich auf Wachstum ausgerichtet, nicht jedoch darauf auch Krisen zu überstehen. Die aktuelle Brüchigkeit lehrt uns eines Besseren. Denn resiliente Systeme sind effektive Systeme. Die 2020er Jahre werden das Jahrzehnt der Resilienz.
Das Thema der Nichtlinearität begleitet uns bereits lange. Die Ökonomik der letzten 250 Jahre war durch lineare Ursache-Wirkungsprinzipien geprägt und nicht durch den Umgang mit Komplexität. Nicht zuletzt zeigen uns die Ereignisse im Jahr 2020 jedoch, dass wir dringend lernen müssen, mit Komplexität umzugehen, Kontexte zu verstehen und systemisch zu denken. Denn Systeme sind immer dynamisch und geprägt von Wechselbeziehungen und damit eben nicht linear vorhersehbar
V2W: Millionen von Desk Workern arbeiten während des Lock-Downs im Home-Office. In der Industrie ist dies für die meisten Arbeitnehmer keine Option, da sonst Produktionen zum Stillstand kämen und auch das Gesundheitswesen funktioniert nur mit Präsenzpflicht. Vote2Work bietet ein Tool für den flexiblen Personaleinsatz, um auf schwankende und kurzfristige Bedarfe zu reagieren und dabei nicht nur auf ad hoc Änderungen einzugehen, sondern auch die Wünsche der Mitarbeiter zu berücksichtigen. Was denken Sie, wie werden sich Arbeitsstrukturen und -zeiten zukünftig in den Unternehmen ändern, welche auf die Anwesenheit der Mitarbeiter angewiesen sind?
Stephan Grabmeier: Tatsächlich ist es ja so, dass der größte Teil der Arbeitnehmer nicht im Home-Office arbeitet, auch wenn dieser Teil häufig einen stärkeren medialen Fokus genießt.
Meiner Erfahrung nach ist das produzierende Gewerbe allgemein besser für Krisen aufgestellt, als viele andere, da sie bereits wissen, wie sie Teams aufteilen oder auch die Produktion umstellen müssen, um den Betrieb aufrecht erhalten zu können. Es gibt keine professionelle Produktion, die keine Krisenskills entwickelt hat.
Ich denke jedoch, dass die Schutzmechanismen für die Menschen, die in solchen Branchen arbeiten noch weiter verbessert werden können bzw. dies Corona in vielen Teilen bewirkt hat.
Natürlich wird dort Home-Office nur schwer umzusetzen sein, jedoch gibt es andere zeitgemäße Elemente, wie beispielsweise flexible Personaleinsatzplanung oder digitale Touchpoints die wiederum auch im produzierenden Gewerbe sehr gut umzusetzen sind.
V2W: Wie sieht Ihr Wunschbild für die Post-Corona Arbeitswelt aus?
Stephan Grabmeier: Mein Wunschbild und das betrifft nicht nur die Arbeits- sondern die gesamte Wirtschaftswelt ist, dass viele verstanden haben werden, dass wir nicht mehr so weiter machen können wie bisher. Am Zukunftsinstitut sprechen wir von der Next-Generation of Business und meinen damit jene Unternehmer und Unternehmerinnen, die ein anderes Verständnis von Wirtschaft haben und in sozial ökologischer und ökonomischer Balance denken. Die nicht mehr linear, sondern systemisch und in adaptiven Zyklen denken, die verstehen, dass der Planet Erde das größte System ist, welches uns umgibt und wir entsprechend dafür handeln müssen. Die Zukunft der Business Modelle sind der Treiber für Future Work und dafür die Welt wieder zu einem besseren Ort zu machen. Gelingt dies nicht werden wir sehr bald zu viele irreparable Schäden an unserem Planeten und damit ganz andere Probleme haben.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wäre es, dass alle Menschen und auch Unternehmen so handeln, dass sie der Umwelt und der Gesellschaft immer ein kleines bißchen mehr zurückgeben als sie ihr nehmen – weg vom Ego hin zu Wir.
Empfehlung: Weitere spannende Ausführungen zum Thema Post-Corona-Wirtschaft können Sie im aktuellen Whitepaper „Unternehmertum nach Corona“ lesen, welches Stephan Grabmeier gemeinsam mit dem Institut der Zukunft herausgebracht hat.